Als sie sich kennen lernten, war es dunkel gewesen. Dann hatte sie ihneingeladen und nun war er da. Sie hatte ihm ihre Wohnung gezeigt und die Tischtücher und die Bettbezüge und auch die Teller und Gabeln, die sie hatte.Aber als sie sich dann zum ersten Mal bei hellem Tageslicht gegenüber saßen, dasah er ihre Nase. Die Nase sieht aus, als ob sie angenäht ist, dachte er. Und sie sieht überhaupt nicht wie andere Nasen aus. Mehr wie eine Gartenfrucht. Um Himmels willen ! dachte er, und diese Nasenlöcher ! Die sind ja vollkommenunsymmetrisch angeordnet. Die sind ja ohne jede Harmonie zueinander. Das eine isteng und oval. Aber das andere gähnt geradezu wie ein Abgrund. Dunkel und rundund unergründlich. Er griff nach seinem Taschentuch und tupfte sich die Stirn.
Es ist so warm, nicht wahr ? begann sie.
O ja, sagte er und sah auf ihre Nase. Sie muss angenäht sein, dachte erwieder. Sie kommt sich so fremd vor im Gesicht. Und sie hat eine ganz andereTönung als die übrige Haut. Viel intensiver. Und die Nasenlöcher sind wirklichohne Harmonie. Oder von einer ganz neuartigen Harmonie, fiel ihm ein, wie beiPicasso.
Ja, fing er wieder an, meinen Sie nicht auch, daß Picasso auf demrichtigen Weg ist ?
Wer denn ? fragte sie, Pi – ca – ?
Na, denn nicht, seufzte er und sagte dann plötzlich ohne Übergang:
Sie haben wohl mal einen Unfall gehabt ?
Wieso ? fragte sie.
Na ja, meinte er hilflos.
Ach, wegen der Nase ?
Ja, wegen ihr.
Nein, sie war gleich so. Sie sagte das ganz geduldig:
Sie war gleich so.
Donnerwetter ! hätte er da fast gesagt. Aber er sagte nur:
Ach, wirklich ?
Und dabei bin ich ein ausgesprochen harmonischer Mensch, flüsterte sie.Und wie ich gerade die Symmetrie liebe ! Sehen Sie nur meine beiden Geranien amFenster. Links steht eine und rechts steht eine. Ganz symmetrisch. Nein,glauben Sie mir, innerlich bin ich ganz anders. Ganz anders.
Hierbei legte sie ihm die Hand auf das Knie und er fühlte ihre entsetzlichinnigen Augen bis an den Hinterkopf glühen.
Ich bin doch auch durchaus für die Ehe, für das Zusammenleben, meinte sieleise und etwas verschämt.
Wegen der Symmetrie, entfuhr es ihm.
Harmonie, verbesserte sie ihn gütig, weger der Harmonie.
Natürlich, sagte er, wegen der Harmonie.
Er stand auf.
Oh, Sie gehen ?
Ja, ich – ja.
Sie brachte ihn zur Tür.
Innerlich bin ich eben doch sehr viel anders, fing sie nochmal wieder an.
Ach was, dachte er, deine Nase ist eine Zumutung. Eine angenähte Zumutung.Und er sagte laut: Innerlich sind Sie wie die Geranien, wollen Sie sagen. Ganzsymmetrisch, nicht wahr ?
Dann ging er die Treppe hinunter, ohne sich umzusehen.
Sie stand am Fenster und sah ihm nach. Da sah sie, wie er untenstehen blieb und sich mit dem Taschentuch die Stirm abtupfte. Einmal, zweimal.Und dann noch einmal. Aber sie sah nicht, dass er dabei erleichter grinste. Dassah sie nicht, weil ihre Augen unter Wasser standen. Und die Geranien, diewaren genau so traurig. Jedenfalls rochen sie so.
Author:Wolfgang Bechert